Der mit den Kühen spricht

Die Hornkuh-Initiative findet über die Schweiz hinaus Aufmerksamkeit. Ein Besuch auf dem Hof Valengiron beim Initianten Armin Capaul und seiner Frau Claudia.

Der Hof der Capauls liegt auf 930 Meter oberhalb von Perrefitte bei Moutier im Berner Jura. Idyllisch gruppieren sich am Hang Wohn- und Hofgebäude, Holzschober, Hühnerställe, Hundehäuschen und Obstbäume. Hühner scharren im Hof und Kühe stehen auf der Weide. Der Hof der Capauls könnte aus der Werbung eines unserer Grossverteiler stammen.

Armin und Claudia Capaul wohnen im neuen Stöckli, seit der eine Sohn den Betrieb übernommen hat. Von der Terrasse blickt man über die siebzehn Hektaren hofeigene Wiesen und Weiden. Nur ein Nachbarhof ist oberhalb zu sehen. Das Heu liegt auf den Feldern. Nach dem Gespräch müssen noch sechs Fuder eingebracht werden.

Leckerli und Hörner

«Armin, jetzt stimmen wir noch über Hörner in der Verfassung ab. Musste das sein?» Ich beginne das Gespräch direkt. Zu dritt trinken wir Kaffee und knabbern Leckerli, die ein Basler Besuch mitzubringen pflegt. Es ist auch ein Heimwehmitbringsel, da Claudia in Basel aufgewachsen ist.

«Das Horn gehört zur Kuh. Das Horn dient der Kommunikation, der Rangelei, dem Austausch. Wir wollen unversehrte Kühe mit Hörnern», erklärt Armin. «Du hast gesagt, die Kühe hätten mit Dir gesprochen,» erwähne ich seine Aussage im deutschen Fernsehen. «Ich spreche mit den Kühen, wie man auch mit einem Hund oder einem Kanarienvogel redet. Ich habe ein Stallbänkli, da kann ich zuhören, was sie sagen, – oder Musik hören. Hier ist auch die Initiative entstanden. Ich habe den Kühen und Geissen einfach eine Stimme geben wollen, die haben sie jetzt.»

Claudia ergänzt: «Man kann die Natur schon hören, wenn man die Antennen hat. Man ist ja im Winter lange mit den Kühen zusammen. Im Sommer sind sie auf der Weide.»

Armin erklärt: «Das Enthornen ist eine schmerzhafte Prozedur. Man brennt den Kälbern unter Narkose die Hornansätze weg. Kuh- und Ziegenhörner sind mit der Stirnhöhle verbunden und durchblutet. Das Enthornen verletzt die Tierwürde gemäss Tierschutzgesetz. Die Initiative will, dass Halter eine Entschädigung erhalten, wenn sie Kühen und Geissen ihre Hörner lassen.»

Zwei Städter auf dem Land

Seit 1995 sind die Capauls auf dem Hof Valengiron. Hier produzieren sie Biofleisch. Ein Zusatzeinkommen bot das Betreuungsangebot für Kinder und Jugendliche in schwierigen Situationen.

Armin ist in Zürich aufgewachsen. In den Schulferien lernte der Stadtbub das Bauernleben bei Hofeinsätzen kennen. Später machte er die Bauernlehre. Claudia entdeckte das Landleben im Ferienhaus, das sich ihr Vater, ein bekannter Basler Schreinermeister, im Jura gekauft hatte, um Distanz zum Geschäft zu finden. Schon früh wollte sie Bäuerin werden, machte zunächst die Matur und wurde Lehrerin.

Während eines Praktikums auf einem Bündner Hof lernte sie Armin kennen. Für zwei Sommer gingen sie auf die Alp, um zu prüfen, ob sie zusammenpassen. Zwei Alptests brauche es. Eine Saison lang könne man sich ja noch zusammenreissen.

Neue Heimat

Ob sie wie andere Bauern ihrer Generation ans Auswandern nach Frankreich oder Kanada gedacht haben? Nein, das Engagement hatte immer starke Bande in der Schweiz. Armin war politisch aktiv und kandidierte etwa auf einer alternativen Bündner Liste für den Nationalrat. Claudia reist als Märchenerzählerin an Veranstaltungen. «Das ist Kopfkino», sagt sie dazu.

Sie präsidierte neun Jahre die «Bergheimat», einen Zusammenschluss von Bauern und Bäuerinnen. «Die Bergheimat steht heute solider da als eine Bank. Die Organisation vergibt zinslose Darlehen an Bergbauernbetriebe. Das macht etwas aus, denn viele in der Bergheimat sind aus der Stadt und konnten keinen Hof erben.»

Der Hornkuheffekt

Vater der Hornkuhinitiative ist Armin Capaul. Unentwegt sammelte er Unterschriften. Rückhalt bieten Claudia und die Kinder Andri, Donat und Lilian.

Kaum jemand hatte der Hornkuh-Initiative grosse Chancen eingeräumt – doch sie kam zustande und kommt am 25. November 2018 an die Urne. Heute spricht man gar vom «Hornkuheffekt», einem lawinenartigen Aktivierungs- und Überzeugungsprozess, den nun auch andere für ihre Anliegen nutzen wollen. Armin sieht Chancen, dass die Initiative durchkommt. Claudia ist skeptischer: «Vielleicht kann man die Basler gewinnen. Sie waren schon immer etwas anders.» Sie hat Armin auch verboten, weiter Geld in die Initiative zu stecken, nachdem er 55ʼ000 Franken eingebracht hatte.

Medienstar im Retrolook

3700 Meldungen, Berichte und Interviews sind allein in der Deutschschweiz gemäss Argus-Mediendienst zum Horn-Anliegen erschienen. Zu Besuch in Valengiron waren auch verschiedene ausländische Fernsehstationen – selbst in Indien wird über die Initiative diskutiert.

Es gibt selten eine Initiative, die man derart prägnant visualisieren und personalisieren kann. Markenzeichen sind die Kuh mit Horn und Armin als Frontmann, der mit Wollkappe und gestricktem Pullover das Klischee einer Aussteiger- und Alternativbewegung der siebziger und achtziger Jahre verkörpert. Das Retroimage schafft auch Vertrauen.

Armin ist mediengewandt. Er spricht unerschrocken, anschaulich, mit engagierten klaren und bildhaften Voten, die argumentativ überzeugen. Er erzählt von der Kuh als Gegenüber, von ihren Bedürfnissen und ihrem Anrecht auf die Hörner. Ein schelmischer Zug macht ihn sympathisch. Manch ein Skeptiker, der sich zunächst fragt, was das mit den Hörnern denn soll, kommt zum Schluss: «Armin Capaul hat recht.»

Man hört ihm gerne zu – auch beschlagene Fernsehmoderatoren. In der Politsendung «Arena» sass Armin in der zweiten Reihe. Das reicht gewöhnlich für kurze Statements auf ein, zwei Fragen. Doch Moderator Jonas Projer war vom Mann mit Wollkäppli wie angezogen – zuletzt sprach Armin rund zehn Minuten lang. Wohl Arena-Rekord für die zweite Reihe.

Und danach …

Und was kommt nach der Abstimmung? «Nach der gewonnenen Abstimmung muss ich aufpassen, dass unser Anliegen auch richtig umgesetzt wird. Falls wir verlieren, was ich nicht glaube, haben wir immerhin die Hörner zu einem Thema gemacht. Die Leute schauen heute bei Kühen, ob sie noch Hörner haben.»

 

Jost Müller Vernier
Zuerst erschienen im WWF Magazin Region Basel vom September 2018.

Hornkuh-Initiative

Die Volksinitiative will in der Verfassung verankern, dass der Bund mit der bestehenden Förderung besonders naturnah-, umwelt- und tierfreundlicher Produktionsformen dafür sorgt, «dass Halterinnen und Halter von Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und Zuchtziegenböcken finanziell unterstützt werden, solange die ausgewachsenen Tiere Hörner tragen.»

Das Volksbegehren verbietet die Enthornung nicht. Capaul stellt sich eine Entschädigung in der Höhe von jährlich 190 Franken pro Kuh und 32 Franken pro Ziege vor. Die Landwirtschaftssubventionen sollen gemäss Capaul nicht erhöht, sondern anders verteilt werden.

Tiere mit Hörnern benötigen gemäss Initianten rund einen Drittel mehr Platz in einem Freilaufstall, dadurch entstehen Umsatzeinbussen oder es müssen bauliche Massnahmen getroffen werden. Für das Enthornen werden neben den Kosten insbesondere Sicherheitsargumente vorgebracht.

Unterstützt wird die Initiative etwa von ProSpecieRara, Bio Suisse, Demeter, Bergheimat oder der Kleinbauern-Vereinigung (VKMB). Der Bauernverband sieht darin primär eine gesellschaftlich-politische Fragestellung: Was sind einer Gesellschaft Hörner wert? Voraussichtlich wird der Bauernverband Stimmfreigabe beschliessen. Die Abstimmung findet am 25. November 2018 statt.


Weitere Informationen:

www.hornkuh.ch

www.schweizer-bergheimat.ch   

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